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Einführung
Besonders zu Beginn des 2. Jahrtausends zog eine Vielzahl von Pilgern „auf der Suche nach dem verlorenen Paradies" durch Europa. Hierbei hatten diese Menschen auf Wanderschaft drei Anziehungspunkte:

· Das Heilige Land mit dem Berg Golgatha in Jerusalem, wo man die Orte von Christi Leidensweg aufsuchte;

· Rom als Ort des Martyriums der Heiligen Petrus und Paulus, den Begründern der christlichen Kirchengemeinde;

· Santiago de Compostela in Spanien am äußersten Ende Westeuropas, das der Apostel Jakob der Ältere der Legende nach sich zur letzten Ruhestätte gewählt hatte.

Und so verwandelte sich Europa in ein Netz von Wegen, Pfaden und Straßen, deren Ziel- und Ausgangspunkt die vorgenannten Wallfahrtsorte waren.

Von 638 n.Chr. an, dem Jahr der Eroberung Jerusalems durch den arabischen Kalifen Omar, wurde Rom mit den Gräbern der Apostel Petrus und Paulus das zweite Jerusalem, als Alternative zum kaum noch möglichen Reisen der europäischen Christen ins Heilige Land. Die Via Francigena, zu Deutsch „Frankenweg", war bis zur Reformation ein geschichtsträchtiger und für die damalige Wirtschaftsentwicklung in den betroffenen Regionen, bedeutender Weg. Heute lässt sich diese Strecke mithilfe eines Dokuments rekonstruieren, das Sigericus, der Erzbischof von Canterbury, 994 nach seiner Rückkehr aus Rom abfasste, wobei es sich um ein Tagebuch der verschiedenen Reiseetappen handelt.

Der von den Westalpen und den Regionen am Rhein führende Frankenweg nach Rom, ist tatsächlich ein bereits seit dem frühen Mittelalter bestehender Pilgerweg. Dennoch ist Rom in unserer Zeit als Ziel von Wallfahrten zu Fuß oder mit dem Rad nicht mit Santiago zu vergleichen. Es gibt fast keine diesbezügliche Tradition mehr. Man wird in Italien als Rad-Wanderer wie ein Exot betrachtet. „Warum machst du dir die Mühe und fährst nicht mit dem Auto oder der Bahn - bist du so arm?" Mit solchen oder ähnlichen Fragen muss man als Rompilger rechnen. Es gibt auch noch nicht die Infrastruktur wie auf dem Camino. Die Pilgerherbergen sind dünn gesät und nur manchmal gibt es eine Ausschilderung des Frankenweges.

Bei uns in Deutschland beginnt der Frankenweg nur allmählich wieder bekannt zu werden. Umso reizvoller war es für den Autor und seine Frau, ein Stück des älteren der beiden großen Pilgerwege in Europa im Mai 2007 mit dem Fahrrad zu entdecken. Beide haben gezeigt, dass man auch in heutiger ruheloser Zeit seinem Herzen und seiner Seele gut tuend und kulturell aufgeschlossen sowie seiner sportlichen Neigung entsprechend - dabei ökologisch unbedenklich - reisen kann.

Gerald Bretfeld möchte Sie mit seinem Tagebuch teilhaben lassen an der herrlichen Natur, den kulturellen Gegebenheiten und den durchwegs positiven Erlebnissen und Erfahrungen auf dieser Pilgerreise durch die schönen Landstriche von Toskana und Latium.

Der Weg ist das Ziel

1.Tag: Florenz - Montespertoli (40 km)

Nach einer verhältnismäßig ruhigen Nacht im Zug kommen wir um 9.05 Uhr in Florenz an. Eine Frau aus Schleswig-Holstein im mittleren Alter teilte mit uns das Liegewagenabteil bis Bologna. Danach hatten wir das Abteil für uns. Vor unserer Ankunft in der Stadt der Medici gab es zum Frühstück unsere mitgebrachten Wurstsemmeln und Kaffee von der Zugbegleiterin. Bereits am Bahnhof holt sich Ursel im dortigen Informationsbüro den ersten Stempel für den Pilgerausweis. So ist der Beginn unserer Pilgerreise dokumentiert. Bei strahlendem Sonnenschein verlassen wir den Bahnhof. Am Tag zuvor ging eine dreiwöchige Schlechtwetterperiode über der Toskana zu Ende. Auf unserem Weg durch die Innenstadt geht es vorbei am Dom-Komplex mit seinem wunderschönen oktogonalen Baptisteriums in Form eines Zentralbaues, über die Piazza della Signoria mit dem Palazzo Vecchio und der Loggia dei Lanzi, durch die Uffizien-Gasse und über die Ponte Vecchio hinauf zur Piazzale Michelangelo.

Blick von der Piazzale Michelangelo auf Florenz

Hier genießen wir erst einmal den Blick auf die Stadt, die Brücken des Arno und die Hügel von Fiesole. Im nahe gelegenen Franziskaner-KlosterSan Salvatore al Monte lassen wir uns den 2. Stempel in den Pilgerpass eintragen, was wir zuvor schon in der weit berühmteren, wohl ältesten Kirche San Miniato ergebnislos versucht hatten.

Nach einem nochmaligen Blick auf die Stadt setzten wir uns aufs Rad und fahren bei schönstem Wetter die schöne, mit alten Alleebäumen begrenzte Viale Galileo Galilei entlang in Richtung Galuzzo. Dort im Vorstadtgetümmel angekommen, fragen wir zwei Rennrad fahrende Italiener in unserem Alter nach dem weiteren Weg nach Chiesanuova. Kurzerhand entschließen sich die beiden freundlichen Rennrad-Fahrer uns vorauszufahren. Sie begleiten uns um viele Ecken bzw. Kurven die graue, wenig einladende Vorstadt hinaus. Vor einem steilen, etwa 7 km langen Aufstieg trennen sich dann unsere Wege. Nach mühevoller schweißtreibender Arbeit erreichen wir mittags die Passhöhe. An einem fliegenden Stand in Form eines alten umgebauten Busses leisten wir uns bei kühlem Mineralwasser und einem Pizza-Brot eine Stunde Pause. In einem Straßen-Cafe in Chiesanuova, das von der Passhöhe nicht weit entfernt liegt, gibt es noch für jeden von uns einen Cappuccino.

Die erste Pause auf der Passhöhe vor Chiesanuova

Nach einer landschaftlich schönen, ca. 6 km langen Abfahrt erreichen wir Cerbáia. Aber dann, oh Schreck, geht es gleich wieder 5 km bergauf, wo Ursel - wir sind fast schon oben - eine längere Pause beansprucht. Am Eingang einer toskanischen Villa finden wir ein schönes schattiges Plätzchen zum verweilen.

Über Montagnana - ein schöner luftiger Ort auf der Höhe - fahren wir wieder flott bergab nach Bacciano, vorbei an einem hübschen Restaurante und nochmals 3,5 km bergauf zum Städtchen Montespértoli. Hier, in der „Città del Vino", wie sich die Kleinstadt nennt, finden wir an der schattigen Piazza del Popolo ein schönes Quartier im Albergo „Gabry". Nach körperlicher Erholung und Reinigung, Trikotwaschung, kleinen Bummel im Sonntagsgewühl durch die Gassen und Abendessen in einer Pizzeria an der Piazza, geht unser 1.Tag zu Ende.

Fazit des Tages: Ursel hat sich sehr tapfer geschlagen!

2. Tag: Montespértoli - Certaldo - San Gimignano - Le Grazie (45 km)

Mit einem italienischen Frühstück (Cappuccino und Croissant) um 7.00 Uhr im Cafe unterhalb unserer Pension, beginnen wir den neuen Tag. Nur eine halbe Stunde später sitzen wir wieder auf unserem „Drahtesel" und fahren zuerst über einen langgezogenen Bergrücken relativ eben, dann immer leicht abwärts - insgesamt 18 km weit - hinab ins Tal des Elsa-Flusses zur schmucklosen Unterstadt von Certaldo. Ca. 60 Meter oberhalb erstrahlt die mittelalterliche Oberstadt, das sogenannte Castello, im Rot der Ziegelmauern. Nach der Trockenlegung des Val d'Elsa wurde die alte Frankenstraße, wichtigster Handels- und Pilgerweg jener Zeit, aus den westlich verlaufenden Hügeln in das bequeme Tal verlegt. Certaldo blühte auf, und das in den nahen Bergen gelegene San Gimignano, einst wichtiger Handelspunkt auf der Via Francigena, geriet ins Abseits.

Wir lassen die Altstadt links liegen und streben unser nächstes Ziel San Gimignano an. Und wieder geht es nicht enden wollend ganze 12 km nur bergauf. Endlich in San Gimignano angekommen, will sich Ursel vom zu viel mitgeschleppten Ballast befreien. Im Postamt kauft sie sich einen Karton (3 €), packt ihn voll mit ihrer Regenbekleidung und entbehrlichen Dingen und stellt sich in die lange Reihe der Wartenden vor dem Schalter an. Nach einer ¾ Stunde Wartezeit, dem Ausfüllen vieler Formulare und nach dem Durchreichen des etwa 1 Kg schweren Päckchens am Schalter sowie dem Anbringen diverser Aufkleber und Poststempel, nennt die Postangestellte schließlich die Portogebühr: „27 Euro". Das ist Ursel zu viel. Sie schnappt sich das Päckchen und verschwindet aus der Halle. Die arme Angestellte kann ihr nur noch verdutzt hinterher schauen.

San Gimignano: Die Piazza della Cisterna mit dem Ziehbrunnen von 1346 ist der Stadtmittelpunkt.

Trotz vieler Touristen zählt San Gimignano zu den Höhepunkten jeder Toskanareise. Nirgendwo blieb eine mittelalterliche Stadt in solcher Reinkultur erhalten. Und in keiner anderen Stadt stehen die Wohntürme (15 Stück), in denen sich die verfeindeten Adelsfamilien verschanzten, so dicht gedrängt. Schon 1348 endete die Geschichte der selbstständigen Republik. In richtiger Selbsteinschätzung vermied man einen Konflikt mit Florenz und unterwarf sich der Arno-Metropole. So blieben die Geschlechtertürme unangetastet und wurden von Florenz nicht wie in anderen, im Kampf unterworfenen Städten geschliffen. Das endgültige wirtschaftliche Aus kam mit der Verlegung der Frankenstraße ins Tal der Elsa. So blieb das Gesicht der Stadt über die Jahrhunderte fast unverändert.

Nach Dombesichtigung (Eintrittsgebühr!) und Stadtbummel (viele Touristen) finden wir ein verstecktes, ruhiges Plätzchen innerhalb der Stadtmauer mit schattenspendenden Olivenbäumen und einen Brunnen. Wir genießen die Mittagspause auf grünem Rasen bei frischem Wasser, Brot, Mortadella und eingelegten Oliven. Anschließend strecken wir unsere Glieder unter einem Olivenbaum aus. Die eine Stunde Siesta hat uns gut getan, sodass wir die Kraft gesammelt haben, San Gimignano durch die Porta San Giovanni in Richtung Santa Lucia wieder zu verlassen.

Im 2 km entfernten S. Lucia angekommen, richten wir uns das erste Mal nach dem, eine Woche vor unserer Abreise neu erschienenen „Outdoor-Reiseführer" und biegen rechts in einen Feldweg ab, der uns hinab zum angeblich ausgetrockneten Bachbettführen soll. Abgesehen davon, dass die Piste beim letzten Bauernhof endet, ist der Bach ein reißender Wildbach. Also den ganzen Weg wieder, die Räder schiebend den Berg hinauf. Ab da verlass ich mich lieber wieder auf mein gutes Kartenmaterial. Und siehe da, nur nach wenigen Metern sehen wir erstmals eine schöne Kachel mit dem Pilger-Symbol an einem Marterl. Also fahren wir voller Hoffnung den angezeigten Weg entlang, der sich als sehr steil nach unten führender Schotterweg entpuppt, den wir nur zu Fuß mit angezogenen Bremsen benutzen können. Unten im Tal angekommen geht ein Weg nach rechts und einer nach links, aber keine Hinweisschilder oder -zeichen sind mehr zu sehen. Ein Blick auf unsere Straßenkarte hilft weiter, wir fahren nach links. Im Spitz der nächsten Straßengabelung nach Poggibonsi bzw. nach Colle di Val d'Elsa steht eine Bar, in der wir uns zur Entspannung einen Cappuccino leisten.

Der erste Hinweis auf die Via Francigena

Die gegönnte Rast soll sich bald als richtige Entscheidung erweisen, denn anschließend geht es wieder steil bergauf. Meine tapfere Ursel schiebt den größten Teil der 5,5 km langen Strecke.

In Le Grazie angekommen hilft uns eine mitgeführte Herbergsadresse vom österreichischen Pilgerverein „Euro Via" weiter. Bei Don Stefano in der Parrocchia di Santa Maria - ein ehemaliges Pilgerspittel mit Kloster - können wir Quartier beziehen. Eine ausgiebige Dusche stärkt gleich wieder unser Wohlbefinden. Als richtige Pilger sehen wir uns in der Pflicht, die Abendmesse zu besuchen, was uns auch unsere Erwähnung in Don Stefanos Predigt einbringt. Ganz überraschend werden wir anschließend von Don Stefano zum Abendessen eingeladen.

Abendessen bei Don Stefano

Es gibt ein 5 Gänge-Menü: Nudeln, Sparerips, Mozzarella-Klöschen, Kuchen und Obst, dazu guten eigenen Rotwein, zum Schluss gibt es Sherry und Espresso. Bekocht und umsorgt werden wir von einer philippinischen und einer mexikanischen Ordensschwester, wobei eine klare Hackordnung zu erkennen ist. Leider müssen wir alle aus Plastiktellern und -bechern essen und trinken.

Unser Schlafplatz ist in einem restaurierten Saal (ehem. Refektorium) mit alten Fresken. Auf neuen Matratzen direkt auf dem Terrakotta-Fußboden lassen wir uns zur Nachtruhe nieder.

Fazit des Tages: Vertraue lieber auf die eigene Orientierungsfähigkeit und Karte als auf andere Wegbeschreiber.

3. Tag: Le Grazie - Colle di Val d‘Elsa - Monterigione - Siena - Buonconvento (70 km)

Unsere Gastgeber sind Langschläfer, deshalb haben sie uns ihre Küche anvertraut. Die große Küche ist ganz modern mit Edelstahlmöbeln eingerichtet. Nur eben das Porzellangeschirr fehlt. Das Frühstück hatten die Schwestern noch am Vorabend hergerichtet. Aus einem riesengroßen Espresso-Automaten holen wir uns den Kaffee und lassen uns unter der Arkade des ehemaligen Kreuzganges zum Frühstücken nieder. Gegen 8.00 Uhr verlassen wir das gastfreundliche Haus und fahren nach Colle di Val d'Elsa, das nur 2 km entfernt liegt. Wir gelangen, vom Westen kommend, in die wunderschöne, mittelalterliche Oberstadt, die fast 100 Meter höher auf einem Hügel über der hektischen, uninteressanten Unterstadt (Colle Bassa) im Tal der Elsa thront. Ihren Reichtum erlangte die Stadt im Mittelalter durch ihre Wolle- und Papierindustrie und Druckereien. Bis heute blieb die Glas- und Kristallherstellung, die sich im 16. Jahrhundert dazu gesellte, eine Stütze ihres Wohlstands. Von der Unterstadt fahren wir, um nicht auf der Hauptstraße Richtung Siena fahren zu müssen, zuerst südwärts in Richtung Grosseto, um dann nach Karte in San Marziale nach links nach Strove und Abbadia Isola abbiegen zu können. Leider ist durch eine Straßenbaustelle weder Ortsschild noch Abzweigung zu sehen. Nach 3 km ist immer noch keine geschlossene Bebauung zu sehen, obwohl der Ort doch nur 2 km von Colle Bassa entfernt sein soll. Ein erneuter Blick auf die Karte zeigt uns, dass die gesuchte Abzweigung innerhalb der Baustelle, vor der Brücke sein muss. Also Kommando „zurück" und tatsächlich, hinter riesigen Baumaschinen finden wir den Abzweig.

Nach 10 km langer Fahrt durch bezaubernde, hügelige Landschaft mit viel Weinanbau gelangen wir zur, von Olivengärten umrahmten einstigen Garnisonsstadt Monterigione. Gleich einer Krone umgibt die 570 Meter lange Befestigungsmauer mit 14 Türmen bestückt den mittelalterlichen Ort. Dante verglich die Türme in seiner „Göttlichen Komödie" mit Riesen, die den Höllenpfuhl umstellen. Gebaut wurde die Anlage Anfang des 13. Jahrhunderts von Siena als Vorposten gegen Florenz und zur Sicherung der mittelalterlichen „Via Francigena.

Um Zeit und Weg zu sparen, nehmen wir gleich den steilen Weg zum nordwestlichen Stadttor, der Porta San Giovanni, in Angriff. Oben am Tor angelangt, empfängt uns eine Gruppe Amerikaner, die es offenbar sehr lustig finden, wie wir uns den Berg hinauf abplagen. Sie fotografieren und filmen uns, anstatt dass es wenigsten einem der jüngeren Männer einfallen würde, der armen Ursel beim Schieben zu helfen. So stelle ich meinen Drahtesel am Tor ab und gehe wieder abwärts um ihr Radl nach oben zu bringen.

Auf der Piazza Roma, mit ihren schlichten Häusern und der romanisch-gotischen Kirche erholen wir uns von den Strapazen des Vormittags. Wir begnügen uns auf einer steinernen Bank pilgergerecht mit Weißbrot, Olivenöl, Salz und Wasser. Danach verlassen wir wieder die Stadt durch die Porta Roma hinaus zur Via Cassia in Richtung Siena.

Am höchsten Punkt von Siena erhebt sich der gotischen Dom Santa Maria Assunta

Auf den flachen Kuppen dreier Hügel dehnt sich die Backsteinstadt Siena, umgürtet von einer kilometerlangen Mauer und überragt vom schlanken, zerbrechlich wirkenden, über 100 Meter hohen Torre del Mangia und dem quergestreiften hellen Dom, dem Gegenpol zur roten Stadt. Die Geschichte, d.h. ihr Abstieg in der Zeit der Renaissance, wollte es, dass wir heute das geschlossene Ortsbild einer mittelalterlichen Großstadt aus der Zeit der Gotik erleben dürfen. Für Radfahrer ist es angenehm, dass bereits seit 1959 der Autoverkehr aus der Altstadt verbannt ist.

In der Altstadt angekommen, machen wir erst einmal Pause auf einem, von Platanen beschatteten Platz an der Stadtmauer. Unser anschließender einstündiger Rundgang durch die Gassen der Stadt endet auf den in einer Mulde zwischen den drei Stadthügeln gelegenen unvergleichlich schönen, muschelförmigen Hauptplatz Il Campo, auf dem jedes Jahr am 2. Juli und am 16. August der berühmte Palio - ein 3 Runden langes Pferderennen der Stadtteile - stattfindet.

Inzwischen ist uns der Touristenrummel zu viel geworden, zumal wir bereits früher mehrmals die Stadt besucht hatten, und wir verlassen Siena wieder in südliche Richtung durch die Porta Romana.

Eigentlich planten wir den alten Frankenweg über das in seiner Urform noch gut erkennbare Etrusker-Städtchen Murlo weiterfahren. Doch haben wir jetzt keine Lust mehr zum „klettern", zumal wir die Gegend schon kennen. Deshalb entscheiden wir uns für den leichteren Weg und fahren immer leicht bergab die Via Cassia (SS 2) in Richtung Rom. Dabei sind wir sehr angetan vom rücksichtsvollen Verhalten der toskanischen Autofahrer gegenüber uns Radfahrern.

Nach 15 km zügiger Fahrt leisten wir uns in der Altstadt von Montenorieinen Cappuccino und einen Becher Eis. Von dort gelangen wir nach weiteren 10 km gegen 16 Uhr nach Buonconvento. Das kleine Hotel „Roma" am Anfang der Altstadt ist leider schon ausgebucht. So müssen wir im zweiten Hotel der Stadt am anderen Ende, im Hotel „Ghibellino" - ein moderner Bau - Quartier nehmen.

In diesem alten Marktflecken verstarb am 24.08.1313 Heinrich VII von Luxemburg, seit 1312 Römischer Kaiser. Begraben wurde er in Pisa. Das südliche Stadttor war 1944 von der deutschen Wehrmacht bei ihrem Rückzug gesprengt worden.

Am Abend suchen wir uns eine kleine hübsche Osteria aus. Leider ist das Essen nicht besonders, dafür aber recht teuer. Überhaupt ist in diesem Ort alles teuer. Im Hotel erklärte man uns, das liege an der Nähe zu Rom (etwa 200 km!). Tatsächlich aber können wir später feststellen, je näher wir an die Mauern Roms kommen, umso billiger wird es für uns.

Fazit des Tages: Das bei uns weit verbreitete Vorurteil, italienische Autofahrer wären chaotische Fahrer, stimmt in keinster Weise.

4. Tag: Buonconvento - Montalcino - Sant'Antimo (26 km)

Heute hat für uns der Tag schon um 6.45 Uhr begonnen. Mit jedem Tag fällt uns das frühe Aufstehen leichter. Zuerst fahren wir noch knappe 3 km auf der stark befahrenen Via Cassia, dann können wir rechts in Richtung Montalcino abbiegen. Schon von weitem grüßt uns die auf einem Hügel thronende Stadt. Etwa 420 Höhenmeter gilt es zu überwinden. Ich tröste Ursel damit, dass es heute wohl der letzte große Anstieg auf unserer Tour nach Rom sein wird, was sich allerdings später als völlig haltlos herausstellen sollte.

8 km Anstieg und mehr als 400 Höhenmeter liegen hinter uns

Wir erkennen eine von karger Landschaft mit hohen Festungsmauern umgebene Stadt. Schon in etruskischer und römischer Zeit war der Hügel besiedelt. Im Hochmittelalter war der Ort im Besitz der nahegelegenen Abtei Sant'Altimo. Später zwischen Florenz und Siena heftig umstritten, kam die Stadt nach der Schlacht von Montaperti im Jahre 1260 zu Siena. Im Jahre 1559, vier Jahre später als Siena selbst, musste die wehrhafte Stadt ihre alte toskanische Städtefreiheit aufgeben und wurde dem Herzogtum Toskana von Cosimo I. de'Medici einverleibt.

Interessant ist die Stadt als Ganzes, weniger ihre einzelnen Bauten. Wir erholen uns im Park der gut erhaltenen Fortezza (Burg) am höchsten Punkt der Stadt, streifen durch die Gassen der Altstadt und lassen uns auf der Piazza del Popolo an einem Tisch im Freien des 1888 eröffneten „Caffè Fiaschetteria" zu einem Drink nieder. Der in unserem Blickfeld stehende, schlanke Rathausturm erinnert an die enge Verbindung mit Siena. Ein edler und teurer Rotwein mit den Namen „Brunello" aus der Rebsorte Sangiovese, der mindestens vier Jahre im Holzfass reifen muss, hat den Namen Montalcino weit über die Grenzen Italiens berühmt gemacht.

Weiter geht es mühelos immer leicht abwärts nach Süden zum Kloster Sant'Antimo.

Abbazia di Sant'Antimo vom Berg Tabor (Gästehaus) aus gesehen

Um das Jahr 800 soll das Kloster von Karl dem Großen gegründet worden sein. Jedenfalls wird es 813, ein Jahr vor dem Tod des Kaisers, zum ersten Mal in einer Urkunde erwähnt. Die romanische Klosterkirche mit ein paar baulichen Überresten der Klosteranlage liegt wunderschön in einer Talmulde, inmitten eines Olivenhains. Die 1118 begonnene Kirche besticht durch ihre schlichte Eleganz. Vor etwa zwei Jahrzehnten hat sich in dem seit Ewigkeiten unbewohnten Kloster eine kleine Gruppe von Mönchen als reguläre Kanoniker, d.h. als Priester und Ordensbrüder im liturgischen und pastoralen Dienst, hier niedergelassen, die nach den Regeln des Hl. Augustinus leben. Alle liturgischen Funktionen werden von ihnen im Gregorianischen Choral gesungen. Es ist eine ursprüngliche Gebetsform, die einer alten kirchlichen Tradition folgt, wie ich sie das letzte Mal bei den Mönchen auf Berg Athos in ihren 1000 Jahre alten Klöstern erleben durfte.

Wir kommen im Kloster am frühen Nachmittag an und finden die Mönche, die gerade mit dem Mittagessen fertig sind in einem kleinen Haus hinter einem Platz, der früher von einem Kreuzgang umgeben war. Nach kurzem Warten empfängt uns ein ehrwürdig wirkender, älterer Mönch in weißer Kutte und befragt uns mit prüfendem Blick nach unserem Begehren. Nachdem wir ihn über die Ernsthaftigkeit unseres Tuns als Pilger überzeugt haben, führt uns ein kleiner quirliger Frater zur sehr gut mit Lebensmitteln und Getränken ausgestatteten Selbstversorger -Küche und zeigt uns anschließend das abseits, auf dem gegenüber liegenden Hügel, unterhalb des Dorfes Castelnuovo dell'Abate gelegene klostereigene Gästehaus mit den Namen „Tabor". Die Herberge ist vom Kloster aus kaum zu erkennen, da sie in den Hügel hinein gebaut wurde. Der Hang geht direkt in das Dach über, das mit Grassoden bedeckt ist. Nachdem wir uns eingerichtet und geduscht haben, gehen wir über einen Bach und eine Wiese zurück zur Abtei. Als wir uns gerade ein Abendessen zubereiten wollen, gesellen sich zu uns zwei Fußpilgerinnen aus Linz, die ihre Wanderung in Villach begonnen hatten. Während ich den drei Damen meine Kochkunst im Spagetti-Kochen mit selbstkreierter Sauce vorführe, gibt es viele erlebte Begebenheiten zu erzählen. Die zwei Österreicherinnen sind offenbar sehr ausgehungert, denn von der riesigen Schüssel Pasta bleibt keine einzige Nudel übrig.

Vor der Selbstversorger-Küche des Klosters Sant'Antimo

Kurz vor 19.00 Uhr gehen wir alle vier über den mit uralten Olivenbäumen bestückten Vorplatz in die Kirche zur Vesper. Skulpturen an der Außenseite, Wasserspeier und Ecksteine in Form von Tierfiguren zeugen vom Alter des Bauwerks. Im Inneren wirkt auf mich der hohe Kirchenraum mit seinen ornamentalen Säulenkapitellen und dem lichtspendenden schmalen Fenster in der Apsis sowie die sechs Mönche in ihren weißen Gewändern, die sich beim Chorgesang immer wieder tief verneigen, sehr feierlich, fast unwirklich.

Fazit des Tages: Meisterwerke gibt es an vielen Orten, kleine Paradiese nur hier und da.

5. Tag: Sant'Antimo - Abbadia San Salvatore - Piancastagnáio (42 km)

Wir fahren sehr früh ohne zu frühstücken los, in der Hoffnung, bald eine Cafe-Bar zu finden. Oben in Castelnouvo dell'Abate, die Bar war noch geschlossen, haben wir einen weiten Ausblick nach Süden zum Monte Amiata.

Er zieht unsere Blicke auf sich, und die unverkennbare Form eines breiten Kegels lässt seine Entstehungsgeschichte erahnen. Er gilt dank seiner beherrschenden Höhe von 1738 Metern in der gesamten südlichen Toskana als unübersehbare Landmarke. Links und rechts vom M. Amiata sehe ich einen breiten Höhenzug vor uns liegen, den es wohl zu überwinden gilt und ahne nichts Gutes. Der Ursel sage ich lieber erst mal nichts, was uns da heute noch erwarten wird.

Die nächsten 4 km beginnt die Straße erst einmal anfänglich sanft, um dann immer steiler und kurviger nach unten zu verlaufen. Im Talgrund geht es bei der Stazione Monte Amiata in einer S-Kurve über die Gleise. Weit und breit ist an der Bahnstation keine Bar zu sehen. So entschließen wir uns auf einer Hausbank eine kurze Essensrast einzulegen. Tatsächlich dauerte sie nur kurz, da die Hausfrau auf ihren Balkon über uns beginnt, den durchlässigen Holzfußboden zu reinigen. So schwingen wir uns wieder auf unsere Drahtesel und mühen uns die nächsten 6 km, die uns wie eine Ewigkeit vorkommen, steil bergauf, bis wir endlich eine geöffnete Osteria erreichen. Bei Cappuccino und Kuchen können wir uns etwas ausruhen. Der große Schäferhund des Hauses bewacht derweil unsere Räder. Gestärkt fahren wir weitere 9 km bergauf, vorbei an der kleinen Wallfahrtskirche Madonna della Querce bis nach Campiglia d'Órcia.Dieser Ort ist nicht zum Verweilen einladend. So kaufen wir nur Brot und Obst und fahren weiter, in der Hoffnung, bald einen geeigneten Rastplatz zu finden. Leider geht es immer noch, nicht enden wollende 7 km bis auf 1035 Meter ü. NN (!) bergauf. Ursel ist fast am Ende ihrer Kräfte. In einem Garten eines allein stehenden Hauses beschlagnahmen wir eine steinerne Tischgarnitur und machen dort ausgiebig Mittagspause. Kein Mensch stört uns, obwohl an der zum trocknen aufgehängten Wäsche und an offen stehenden Türen erkennbar ist, dass die Bewohner da sein müssen. Gut gestärkt schaffen wir noch die letzten Höhenmeter durch ein ausgedehntes Waldgebiet.

Endlich geht es wieder bergab, dann zweigt links die Straße zum Skigebiet am M. Amiata ab und runter geht's nach Abbadia San Salvatore. Kurz vor A. S. Salvatore überholen wir unsere beiden am Vortag kennengelernten österreichischen Fußpilgerinnen. Sie haben geschummelt. Erst nach entsprechendem Nachbohren geben sie zu, ein Stück von einer Autofahrerin - angeblich nur 4 km - mitgenommen worden zu sein. Auch wenn sie in der Früh schon eine Stunde früher losgelaufen sind, hätten sie niemals diesen Vorsprung von 38 km herauslaufen können.

Da es in A.S.Salvatore noch Nachmittag ist, beschließen wir, nach Piancastagnáio weiterzufahren. Hier bekommen wir im einzigen Hotel im Ort Unterkunft und ein gutes Abendmenü mit einer Flasche Rotwein und reichlich Grappa für insgesamt 100 Euro. Wir sitzen noch nicht lange, da kommen unsere beiden österreichischen Pilgerinnen zur Tür herein. Sie baten zuerst beim örtlichen Pfarrer um ein Übernachtungsquartier, der sie aber abwies. Auch unser Wirt wollte sie zuerst wegen angeblicher Überfüllung nicht aufnehmen, obwohl nach unserer Einschätzung das Hotel niemals ausgebucht sein konnte. Mit Tränen in den Augen baten sie um Aufnahme. Sie würden sich mit einer einfachen Schlafstatt zufrieden geben. Schließlich gab er ihnen zwei Notbetten in der Bügelkammer.

Wir bitten die beiden Pilgerinnen zu uns an den Tisch. Sie essen nur eine Suppe und trinken mit von unserem Wein. Trotzdem müssen sie nach unserer Einschätzung zu viel bezahlen. Es gibt eben, wie überall, schlitzohrige Wirte.

Fazit des Tages: Man muss ab und zu mal seine eigene Grenze bewusst erreichen.

6. Tag: Piancastagnáio - Aquapendente - Bolsena (77 km)

Unser Wirt ist nicht nur ein Schlitzohr, sondern auch noch Spätaufsteher. Erst ab 9 Uhr bot er uns ein Frühstück an. Obwohl wir es bezahlt hatten, fahren wir ohne Frühstück bereits um 7.30 Uhr los. Das Wetter ist, wie schon die Tage zuvor, sehr schön und so entschließen wir uns, nicht den direkten Weg abwärts nach Acquapendente an der Via Cassia zu nehmen, sondern auf der hufeisenförmigen Höhenstraße zu bleiben, die über Tre Case (drei Häuser), Pietralunga, durch das Naturreservat „Pigelleto" und vorbei am Monte Civitella nach Castell'Azzara, führt. In Tre Casa holen wir erst einmal unser Frühstück in einer Bar neben einer kleinen Autowerkstatt nach. Wir sind guter Stimmung, wohl im Bewusstsein, dass wir heute keine großen Steigungen mehr zu bewältigen haben. So genießen wir den Morgen und beobachten beim Cappuccino das geschäftige Treiben der Einwohner. Die folgende Fahrt wird ein voller Naturgenuss und ich muss ganz zwangsläufig an meine Freunde vom Bund Naturschutz in Sauerlach denken. Die schöne Straße fast ohne Autos, führt durch hellgrüne Eichen- und Buchenwälder, durchsetzt mit blühenden, wohlduftenden Akazienbäumen. Zwischen-durch herrliche Ausblicke auf Hänge mit gelb blühenden Ginster.

Das Städtchen Castell'Azzara schmiegt sich in erhabener Schönheit in 809 Metern Höhe an den Osthang des Monte Civitella an. Wir umfahren den Ort, da dieser eine einzige Baustelle ist, und lassen unsere Räder im flotten Tempo abwärts durch die von reißenden Bächen zerklüftete, modellierte Landschaft rauschen. Hinter dem Castell Storzesca biegen in einen Feld weg ab, wo wir das erste Mal das Gefühl haben, dass wir uns auf der echten antiken Pilgerstraße „La Via Frincigena" bewegen.

Unterwegs auf der antiken Via Francigena. Im Hintergrund der Basaltkegel von Radicofani, mit der alles überragenden Burg, von wo aus der Raubritter Ghino di Tacco im auslaufenden 13. Jahrhundert nur die vorbeiziehenden Reichen abkassierte und deshalb vom Volk als eine Art Robin Hood verehrt wurde.

Vor Proceno erreichen wir Latium (Lazio), der letzten Region vor Rom. Sie ist das historische Kerngebiet der etruskischen Kultur. Die Landschaft ist geprägt vom Vulkanhügelland mit seinen Kraterseen.

Das mittelalterliche Proceno mit seinem Kastell, seinem Renaissance-Palast und seinen romanischen Kirchen thront hoch über dem Tal des Paglia-Flusses und der SS Cassia. Unten im Tal angelangt, geht es über die mächtige, von Papst Gregor XIII., zwischen 1578 und 1580 errichtete Brücke Ponte Gregoriano, die während des 2. Weltkrieges teilweise zerstört wurde. Von dort fahren wir wegen der gleichmäßigeren Steigung 3 km auf der stark befahrenen SS Cassia bis nach Aquapendente, das schon in den ältesten Straßen-Verzeichnissen aus römischer Zeit (Itineraren) als wichtiger Haltepunkt auf der Straße nach Rom erwähnt wird. Die Stadt hatte auch bedeutende Verbindungen zu den Pilgerzügen ins Heilige Land, was auch der Umstand, dass die Kathedrale S. Sepolcro am Ortsausgang an der Porta Romana ursprünglich eine Heiliggrab-Kirche war, erhärtet ist. Der romanische Charakter der Kirche hat sich vor allem in der neunschiffigen, säulengestützten Krypta erhalten. Von besonderem Interesse sind für uns die Kapitelle, an denen pflanzliche Motive und plastisch stark heraus gemeißelte Tierfiguren sichtbar sind. In der Krypta werden in einer im 9. Jh. nachgebildeten Imitation des Hl. Grabes von Jerusalem die Reliquien aus der Prätoriumshalle (Gericht des Pilatus) aufbewahrt.

Die Krypta von Santo Sepolcro mit ihren auf Säulen gestützten Kreuzgewölben, die den Raum in neun schmale Längsschiffe und drei Querschiffe teilen.

Am neobarocken Westportal der Kirche treffen wir unsere inzwischen altbekannten Linzer Pilgerfreundinnen wieder. Es ist heute Freitag, der 18. Mai und sie wollen unbedingt bis Dienstag in Rom sein, damit sie Mittwoch früh die Papstaudienz miterleben können. Mit ihnen gehen wir nochmal zurück in die Sakristei, um uns den Pilgerstempel geben zu lassen. Anschließend verlassen sie uns gleich wieder und gehen in Richtung Zentrum, damit sie in der Pilgerherberge noch ein Mittagessen bekommen.

Wir hingegen fahren auf einer ständig leicht ansteigenden Nebenstraße genau in Richtung Süden weiter zum Ort Grotte di Castro, der wohl aus strategischen Gründen auf dem ehemaligen Kraterrand des Lago di Bolsena von vulkanischem Ursprung angelegt wurde. Ein heftiger böiger Wind aus Nordosten verleiht uns kräftesparende Schubkraft. Schließlich erreichen wir das in einer Mulde am Kraterrand gelegene Städtchen San Lorenzo Nuovo, das ganz im aufklärerischen Stil des 18. Jahrhunderts 1774 von Papst Clemens dem XIV. angelegt wurde. Von dort geht es hinunter zum See, vorbei an den Ruinen der Burg von San Lorenzo Vecchio, die wegen ihrer ungesunden Lage die Verlegung im 18. Jh. auslöste, und weiter die Uferstraße entlang nach Bolsena.

Bolsena liegt am Nordufer des Sees und zeichnet sich durch ein angenehmes Klima aus. Eine antike Stadt - Volsinii genannt - bestand bereits in etruskischer Zeit. Im Jahre 265 v. Chr. wurde sie von den Römern zerstört. Sie zwangen die Bewohner oberhalb des heutigen Bolsena eine neue Stadt zu gründen, wovon heute noch einzelne Bauwerke, wie Amphitheater, Thermen und Forum zu erkennen sind. Die mittelalterliche Stadt wurde nicht am Seeufer, sondern an den Hangausläufern unterhalb der römischen Stadt errichtet.

Wir durchqueren die Altstadt und kommen am Ende durch die Porta Romana zur sehr bedeutenden Kirche Santa Christina.

Der Domplatz mit der eleganten Renaissance-Fassade und dem imposanten Glockenturm aus dem 14. Jh.

Am Platz neben der Kirche Santa Cristinanehmen uns die Schwestern von Santo Sacramento sehr freundlich auf und werden in einem sehr schönen Zimmer mit Dusche im zweiten Stock untergebracht.

Wir besuchen noch die Vesper und machen anschließend einen Rundgang durch die hochinteressante Kirche. Sie ist die Kirche der Heiligen Christina, die als Mädchen am Ende des 3. Jahrhunderts wegen ihrem Bekenntnis zum christlichen Glauben ein Martyrium erlitt. Die 1007 von Papst Gregor VII. geweihte Kirche hat ihren ursprünglichen romanischen dreischiffigen Grundriss mit mächtigen, in der Mitte anschwellenden monolithischen Säulen bewahrt. Die Fassade ist dagegen das Werk einer Erneuerung durch Kardinal Giuliano de‘ Medici, der päpstlicher Gouverneur in Bolsena war. An der linken Seite der Kirche schließt eine Kapelle aus dem 17. Jh. an, die zur Erinnerung an das Wunder von Bolsena errichtet wurde. Im Jahre 1263 las ein deutschsprachiger Priester aus Prag, der in allen Dingen glaubenstreu war, aber an der Gegenwart Christi in Brot und Wein zweifelte, in der Grotte der hl. Christina die Messe, als er Blut aus der Hostie quellen und das Unterlagentuch (Korporale) benetzt sah. Mit diesem Wunder soll die päpstliche Bulle Transiturus (Verwandlung) von Urban dem IV. in Verbindung stehen, der das Fronleichnamsfest einführte. Von der Kapelle kommt man in die Katakombe der hl. Christina, in der in einem kostbaren Ziborium (baldachinartiger Altarüberbau) ein Steinblock mit den Fußabdrücken der hl. Christina aufbewahrt wird.

Abendstimmung am Yachthafen von Bolsena

Voller Eindrücke verlassen wir die Kirche, gehen ans Seeufer, betrachten den Sonnen-untergang und schließen den Tag mit einem guten Fischessen in einer kleinen Trattoria ab.

Fazit des Tages: Es kann sich auch mal lohnen einen Umweg zu machen.

7. Tag: Samstag, der 19. Mai ist Ruhetag

Da wir von den fürsorglichen Schwestern so gut aufgenommen wurden, beschließen wir, heute einen Ruhetag einzulegen. Wir schlafen uns erstmal richtig aus und gehen gegen 9 Uhr hinunter in den Speisesaal. Das Frühstück ist schon hergerichtet. Keine Schwester ist weit und breit zu sehen. Lustig finden wir einen riesigen Kaffeeautomaten, der nur mit 50 Cent - Münzen zu bedienen ist. Das Geld muss man aber nicht aus eigener Tasche berappen, sondern auf dem Tisch neben dem Automaten steht ein Karton mit vielen Münzen, aus dem man sich bedienen kann. Wir frühstücken ausgiebig und genießen die Ruhe. Etwas später kommt noch eine allein reisende, etwa 70 Jahre alte Frau aus Erding hinzu. Von ihr erfahren wir von einem tragischen Unglück am Vortag. Ein deutscher Tourist war mit seinen zwei Söhnen mit dem Boot auf den See hinausgefahren. Seine Frau mit dem Baby blieb am Ufer zurück. Als nach einer halben Stunde die Frau das Boot nicht mehr sah, alarmierte sie die Polizei. Trotz sofort eingeleiteter Suchaktion mit Hubschrauber und Motorbooten konnten die Rettungskräfte die beiden, nur mit Schwimmärmel ausgerüsteten Buben im Alter von 4 und 5 Jahren, nur noch tot bergen. Wieder-belebungsversuche blieben erfolglos. Den Vater konnten sie trotz Einsatz von Polizei- und Armeetauchern sowohl am Tag des Unfalles, als auch am nächsten Tag nicht mehr finden. Das Boot muss aufgrund von Sturmböen gekentert sein. Welch eine Tragödie für die überlebenden Familien- angehörigen. Im ganzen Ort macht sich eine bedrückte Stimmung breit.

„Gerald komm bitte herauf!"

Abgerundete rechteckige Legende: „Gerald komm bitte herauf!Nach dem Frühstück will Ursel gleich Wäsche waschen und auf der Dachterrasse aufhängen. Ich setze mich derweil unten neben unserem Haus an einen Tisch vor der kleinen Kaffeebar und genieße bei einen „Campari con Soda" den noch ruhigen Samstagvormittag. Nach geraumer Zeit ruft Ursel vom Fenster herunter, ich möge zu ihr raufkommen. Als ich oben ankomme, wird gerade eine Wunde an ihrem rechten Schienbein von Schwester Giovanna ganz fürsorglich versorgt. Ursel war beim Betreten der Dachterrasse, den Wäschekorb in der rechten, eine Brotzeitbüchse in der linken Hand, über eine Stufe gestolpert und fiel auf die eiserne Schwelle der Tür. Neben der Schürfwunde am Schienbein bekam sie unterhalb vom Knie eine Beule, so groß wie ein Knödel. Schwester Stefanie steht daneben und zitterte am ganzen Körper, bringt dann aber unserer Patientin ein Glas Wasser. Obwohl die Schwestern nur Italienisch und Französisch sprechen, verstehen wir uns sehr gut mit ihnen.

Nach geraumer Zeit ruft Ursel vom Fenster herunter....

Dank der guten medizinischen Betreuung ist Ursel nach einer Stunde Ruhe wieder soweit, dass wir unseren geplanten Altstadtbummel durch die gepflegten Gassen bis hinauf zur mittelalterlichen Burg antreten können. Zum Schluss kaufen wir Brot, Schinken, Käse (Pecorino), eine Flasche Wein (Est,Est,Est!) und eine Süddeutsche Zeitung und ziehen uns ins Kloster zum Mittagessen zurück.

Morgen ist hier Erstkommunion. Deshalb entwickelt sich im und ums Haus hektisches Treiben. Es wird geputzt und mit den Kindern das Aufstellen im Haus und das Hinübergehen zum Dom geprobt. Bei italienischen Kindern geht das Ganze etwas lebendiger, um nicht zu sagen lauter zu als z.B. bei uns in Bayern.

Wir ziehen uns zurück in den wunderschönen Klostergarten, genießen die Ruhe und das schöne Wetter mit lesen oder Tagebuch schreiben. Auch hier werden wir von Schwester Stefanie mit einem Körbchen frischer Erdbeeren verwöhnt. Während Ursel ihr Bein noch schonen will, gehe ich zum See. Am Yachthafen sehe ich ein großes Polizeiaufgebot, die immer noch den vermissten deutschen Vater suchen. Ein halbes Dutzend TV-Übertragungswägen und eine unübersehbare Zahl von Reportern und Kameramännern stehen umher, die einzelne Uniformierte befragen und wohl wie alle Umstehenden auf die erlösende und gleichzeitig bedrückende Nachricht „Wir haben ihn gefunden" warten. Ich gehe mit großer Traurigkeit im Herzen zum Kloster zurück. Am späten Nachmittag lernen wir eine Schweizerin kennen, die einen Geschenk-artikelladen betreibt. Sie erzählte uns Näheres über die Unglücksumstände und dass der Vater auch am zweiten Tag nicht gefunden wurde.

Am Abend gehen wir in die Maiandacht und beten für die vom Unglück so hart getroffene Familie. Mit einem Abendspaziergang beschließen wir unseren Ruhetag.

Fazit des Tages: Ein Unglück kommt selten allein.

8. Tag: Bolsena - Montefiascone - Viterbo - San Martino al Cimino (47 km)

Herzliche Verabschiedung durch die Schwestern von Santa Sacramento

Der Tag fängt nicht sonderlich gut an. Nacheiner herzlichen Verabschiedung durch die Schwestern von S. Sacramento verlassen wir Bolsena und wollen kurz hinter der Stadt die im Reiseführer beschriebene antike Konsularstraße „Cassia" finden. Sie soll noch in Teilen die alte Pflasterung aus großen Basaltsteinen aufweisen. Wir zweigen von der Hauptstraße links ab und versuchen der Beschilderung zu folgen. Zwischendrin gelangen wir auf eine sehr steil abfallende Schotterpiste. In einer Linkskurve auf lockerem, grobem Schotter kommt es zu meinem ersten Sturz auf dieser Fahrt. Ich schlage mir das Knie auf und wir beschließen, unsere Suche nach der antiken Cassia aufzugeben und der neuen asphaltierten SS Cassia wieder zuzustreben.

Als nächsten Ort erreichen wir Montefiascone, hoch über dem See von Bolsena gelegen. Zuvor führt die Straße an der Kirche S. Flaviano vorbei, die aus einer Ober- und Unterkirche besteht und wegen ihrer komplexen Baustruktur, ihres Stils und ihrer Ikonographie als eine der bedeutendsten Kirchen in Latium anzusehen ist.

Auf der Piazza Vitttorio Emanuele in Montefiascone

In einer Seitenkapelle befindet sich der Grabstein des Bischofs Johann Fugger aus Augsburg, der im Jahr 1100 im Gefolge Kaiser Heinrich V. nach Rom reiste. Da er ein großer Weinliebhaber war, schickte er auf seiner Rückreise von Rom seinen Diener Martin einige Tagesreisen voraus mit dem Auftrag, für ihn jeweils eine gute Unterkunft zu besorgen, was soviel bedeutete, wie eine Gaststätte mit gutem Wein ausfindig zu machen. Er hatte an jede Taverne, die guten Wein ausschenkte, mit Kreide das Wort EST zu schreiben, ein besonders guter Tropfen war mit EST EST zu kennzeichnen. In Montefiascone fand der Diener den Wein so gut, dass er EST! EST!! EST!!! an die Tür schrieb. Fugger war vom hiesigen Rebensaft ebenfalls so begeistert, dass er in Montefiascone blieb und hier auch starb.

Auf dem Weg hinauf zum älteren Teil der Stadt spricht uns ein Italiener auf Deutsch an. Er handle mit biologischen landwirt-schaftlichen Produkten und komme oft nach Bayern, vor allem nach Nürnberg. Er schwärmt regelrecht von Bayern und meint, dass dort alles besser sei als hier, was wir nicht so uneingeschränkt stehen lassen wollen. Plötzlich geht er zu seinem Auto und kommt mit einer Flasche bestem Olivenöl zurück, das er Ursel als Geschenk in die Hand drückt. Hoch erfreut über die Freundlichkeit des Mannes ziehen wir weiter der Altstadt entgegen.

Auf der Piazza Vittorio Emanuele lassen wir unsere Räder stehen und gehen zu Fuß weiter durch das alte Stadttor hinauf zur Festung Rocca die Papa. Sie war eine Rückzugsmöglichkeit für die Päpste, die der gefährlichen Stadt Rom entfliehen mussten, und schließlich die letzte italienische Wohnstätte des Papstes vor dem avignonischen Exil.

Ein beherrschender Blick von der päpstlichen Burg über den See

Von hier oben haben wir eine herrliche Rundumsicht über das Land und den See. Beim Abstieg von der Burg kommen wir an der romanischen Kirche Sant'Andrea vorbei. Ihre Ostseite (Apsisseite) ist zugleich Teil der alten Stadtmauer. Im Innern beeindrucken uns die schönen Säulenkapitelle mit ihren Laub- und Tierfigurationen.

Wir verlassen noch vor Mittag wieder die Stadt und fahren südwärts in Richtung Viterbo. Wir kommen am Berg Lugo vorbei, dort - so lesen wir - waren früher die Galgen für jene Räuber aufgestellt, die sich erdreisteten, Pilger auf den Weg nach Rom auszurauben. Weiter geht es abwärts, dann eben durch fruchtbares Ackerland. Der markierte Feldweg führt uns nach kurzer Zeit zu der Thermalquelle von Bagnaccio. Sie verfügt über fünf Becken und liegt frei zugänglich am Wegesrand. Da heute Sonntag ist, sind relativ viele Menschen aus der näheren Umgebung hier.

Mitten in der Ebene vor Viterbo kommen wir an der frei zugänglichen Therme von Bagnaccio vorbei

Wir finden noch einen freien Platz an einem der festen Holztische unter einem schattenspendenden Feigenbaum und leisten uns eine ausgiebige Mittagspause. Uns gegenüber sitzt ein netter Herr in unserem Alter aus Viterbo mit seiner Enkelin. Das Mädchen überlässt uns ein großes Stück von ihrem Nudel-Gemüse-Omelett. Wir dagegen können nur mit frischem Brot, Öl, Käse und Oliven aufwarten.

Die Stadt Viterbo betreten wir durch die Porta Fiorontina. Da gerade Nachmittags-Kaffeezeit ist, lassen wir uns in einer Eisdiele an der Piazza dei Caduti nieder. Ursel bestellt sich einen Bananensplit und ich einen Cappuccino. Dort treffen wir auf eine lebhafte Gruppe von 6 italienischer Fußpilger, die wir später noch zweimal treffen werden. Da wir noch hinauf nach San Martino wollen, fällt der Stadtbesuch nur kurz aus. Wir radeln durch die schönen sauberen Gassen, über die prächtige Piazza San Pellegrino mit dem Palazzo Priori. Hier imponiert mich der 44 Meter hohe, schlanke Uhrturm Torre dell' Orologio aus dem Jahre 1487. Weiter geht's zur im 12. Jh. auf den Resten eines römischen Herkules-Tempels erbauten Kathedrale von San Lorenzo. Daneben steht der gotische Papstpalast, der zwischen 1255 und 1266 erbaut wurde.

Die Loggia des Papstpalastes in Viterbo

Von der Loggia des Palastes aus segneten die neugewählten Päpste das Volk. Von hier aus richtete Papst Clemens IV. den Bannstrahl auf den letzten Hohenstaufner Konradin.

Wir verlassen wieder die Stadt durch die Porta Romana und kämpfen uns die 7 km hinauf zum Dorf San Martino al Cimino, das um eine alte Abtei herum entstand, welche am Anfang des 13. Jh. von einer Zisterzienser-Gemeinschaft aus dem französischen Pontigny übernommen wurde. Aus dieser Zeit stammt die große Abteikirche, die den Ort beherrscht. Der auf mich feierlich-ernst wirkende dreischiffige Innenraum der Kirche besticht besonders eindrucksvoll durch die tiefe Apsis, die ihr Licht von zwei übereinander liegenden Reihen einbogiger Fenster bezieht.

Wir finden unterhalb der Abteikirche eine schöne Unterkunft (Bed & Breakfast) in dem von einem deutschen Kardinal erbauten Palazzo mit den hier untypischen Namen „Widman".

Unsere Unterkunft in San Martino ist ein Palazzo mit den Namen Widman

Wir beziehen unser schönes Zimmer, machen uns frisch und gehen in eine vom Hausherrn empfohlene Pizzeria. Fröhlich gelaunt vom gut verlaufenen Sonntag und dem ausgezeichneten Abendessen, treten wir gegen 22 Uhr unseren Heimweg zum Palazzo an.

Fazit des Tages: Es ist ein beruhigendes Gefühl in unserer Zeit keine Wegelagerer mehr zu begegnen.

9. Tag: San Martino al Cimino - Ronciglione - Capránica - Sutri (33 km)

Das "Breakfast" hält nicht, was der Name verspricht. Es gibt zum Cafè-Latte nur typisch italienisches, süßes Gebäck. So kaufen wir im nächsten „Alimentari" (Lebensmittelgeschäft) ordentlich ein und ziehen zum oberen Stadttor hinaus. Dort treffen wir ein Schweizer Pilgerpaar wieder, das wir bereits hinter Bolsena kennengelernt hatten. Sie wollen den gleichen Weg wie wir, entlang des Lago di Vico nach Ronciglione gehen. Der 3 km lange Weg hinauf zum ehemaligen Kraterrand des Vico-Sees ist so steil, dass wir unsere Räder schieben müssen. Ein Schwabe mittleren Alters mit einem bestens ausgestatteten Mountain-Bike, gesellt sich zu uns. Er ist am Bodensee gestartet und will noch bis Sizilien fahren. Wir bringen unsere volle Bewunderung für seine Unternehmung zum Ausdruck, vielleicht auch deswegen, weil uns der Berg gerade viel Kraft abverlangte. Nach überwinden des Kraterrandes werden wir für unsere Mühen reichlich belohnt. Eine einmalig schöne Landschaft liegt vor uns. Das lichte Grün der herrlichen Eichen- und Buchenwälder begleiten unseren weiteren Weg, immer leicht abwärts, bis wir an der südlichen Uferseite des Sees unten ankommen. Dort suchen wir uns ein schönes Plätzchen am Sandstrand und genehmigen uns eine gute Stunde Rast unter einem schattenspendenden Baum.

Blick vom südlichen Ufer des Lago di Vico auf die Monti Cimini

Da unser Frühstück nicht allzu üppig ausgefallen ist, genehmigen wir uns hier eine ausgiebige „Brotzeit". Nur gibt es statt Bier einen guten Schluck Vino bianco. Dabei streifen unsere Blicke über den kleinen See auf die Cimini-Berge mit ihren von blaugrün zu hellgrün wechselnden, bewaldeten Hängen. Auch eine junge, hübsche Italienerin, die sich direkt am Wasser zum Sonnen niederließ, ist schön anzuschauen.

Wir verlassen den See an der tiefsten Senke des Kraterrandes, die sicher einmal zur aktiven Zeit des Vulkans der Lava-Ausfluss gewesen sein muss, und fahren nach Ronciglione. Doch verlassen wir gleich wieder die lärmende und auf uns unfreundlich wirkende Stadt, die mit ihren abblätternden Fassaden und dunklen Tuffsteinmauern einen armseligen Eindruck auf uns macht. So wenden wir uns dem Städtchen Capránica zu. Wir kommen vorbei an riesigen Haselnussplantagen und ich denke mir beim leichten Bergauf- und Bergabfahren, vielleicht ist es das letzte ruhige Straßenstück vor Rom.

Unmittelbar vor der Brücke über den Graben, der mit der Stadtmauer die Altstadt von Capránica umzingelt, lassen wir uns in einem Straßencafè nieder und genießen unseren inzwischen lieb gewonnenen Cappuccino, der nur 1,75 € kostet. Hier an der Bar treffen wir die italienische Pilgergruppe wieder, die wir gestern in Viterbo und heute Vormittag in den Cimini-Bergen getroffen haben und werden mit einem „Salve pellegrini" begrüßt.

In der Altstadt fällt uns der schlechte bauliche Zustand der Gebäude auf. Insgesamt haben wir den Eindruck, dass die Region von der Regierung in Rom vernachlässigt wird. Selbst die vielen Katzen sind magerer als anderswo.

Von Capránica nach Sutri sind es nur noch 6 km, die wir auf der Staatsstraße zurücklegen. Kurz vor Sutri gelangen wir wieder auf den alten Frankenweg, den wir in Viterbo verlassen hatten. Dicht bewachsene Tuffsteinwände flankieren das Tal.

Zwischen Bäumen taucht die Altstadt von Sutri mit den eng um die Kathedrale gedrängten Häusern auf. Die noch sichtbaren Besiedelungsspuren gehen bis in die etruskische Zeit zurück. Im Mittelalter war der Ort das größte und wichtigste Etappenziel vor Rom. Bedeutend ist die Kathedrale di Santa Maria Assunta romanischen Ursprungs, später barockisiert mit ihrem mächtigen Campanile von 1207 und der Krypta aus langobardischer Zeit. Die Pilgerspittäler standen unterhalb der Stadt an der Via Cassia. Hier finden wir auch die kleine Kirche Santa Maria del Parto, hinein gebaut in eine der ursprünglichen, in den Tuffstein gehauenen etruskischen Kammergräber. Bereits in der römischen Kaiserzeit soll sie als Mithrastempel genutzt worden sein. Leider ist die außergewöhnliche Kirche bei unserem Besuch geschlossen.

Die Altstadt von Sutri thront auf einem Tuffsteinfelsen. Bereits seit der Römerzeit führt unten an ihr die Via Cassia vorbei.

König Heinrich III. wollte sich im Jahre 1046 vom Papst zum Kaiser krönen lassen. Er zog deshalb mit seinem Gefolge über die Alpen nach Rom. Doch in Rom hatten sich drei Päpste gegenseitig das Petrusamt streitig gemacht. Als König Heinrich kurz vor Weihnachten in Sutri, der letzten Station vor Rom, ankam, wollte er ein Machtwort sprechen. So rief er in Sutri die Bischöfe der Kirche zu einer Synode zusammen, in der die kirchlichen Verhältnisse neu geordnet wurden. Die drei Päpste wurden von Heinrich von hier aus zum Amtsverzicht bewegt bzw. abgesetzt. An ihre Stelle ließ er einen Bischof Suidger aus Bamberg zum Papst wählen und sich von diesem am Weihnachtstag die Kaiserkrone aufsetzen. Suidger von Bamberg, der als Clemens II. den Papstthron bestieg, war der erste von sechs deutschen Päpsten in Folge, denen es schließlich gelang, die Verhältnisse in Rom gründlich zu reformieren.

Auf der Piazza del Comune lassen wir uns in dem einzigen, dort befindlichen Straßencafé nieder und beobachten das unaufgeregte Treiben der Einheimischen bei einem Glas Campari. Die schweizer Pilgerin, die wir mit ihrem Mann bereits am Vortag hinter Bolsena und heute früh in San Martino getroffen hatten, kommt leicht humpelnd über den Platz auf uns zu. Wir bitten sie an unserem Tisch Platz zu nehmen. Sie war das letzte Stück wegen ihrer Blasen am Fuß mit dem Bus gefahren. Wir nehmen uns die Zeit für eine ausgedehnte Unterhaltung und tauschen unsere bisher auf der Pilgertour gemachten Erfahrungen aus. Nach ca. 1 ½ Stunden trifft auch ihr Mann ein. Er hat einen Gewaltmarsch von fast 30 km über den Monte Fogliano (965 m) hinter sich gebracht. Mit leichtem Stolz zeigt er uns seine perfekte Globetrotter-Ausrüstung. Beeindruckt haben mich seine Photovoltaik-Zellen auf dem Rucksack, mit denen er die Akkus seines Rasierapparats auflädt. Anschließend machen wir uns auf die Quartiersuche. Während das schweizer Ehepaar das einzige Hotel im Ort ansteuert, wollen wir in einer der beiden Pilgerunterkünfte übernachten. Nach anfänglichen hin und her, ob bei den Franziskanern oder den Karmeliterinnen in Klausur, entschließen wir uns wegen der ortsnahen Lage für die letztere der beiden Möglichkeiten.

Wegen einer Baustelle ist erstens die unscheinbare Klosterpforte schwer zu finden. Endlich gefunden, fällt uns zweitens die Verständigung mit der Klosterschwester hinter einem Holzgitter schwer. Drittens finden wir schließlich nach Bezahlen von 36 € ein sehr einfaches Nachtlager vor. Es ist ein kleiner, muffig riechender Raum in einem sehr alten Haus außerhalb der Klostermauern. Da im Zimmer nur ein Waschbecken mit kaltem Wasser vorhanden ist, gestaltet sich unser Frischmachen und das Waschen der durchgeschwitzten Trikots nicht so leicht wie sonst. Ich fühle mich an meine harte Kindheit in den Nachkriegsjahren erinnert. Doch mit Ursels Waschlappen geht dann die Körperreinigung doch recht gut vonstatten. Inzwischen ist das Zimmer gut durchlüftet und wir können zu einem kleinen Stadtbummel aufbrechen. Am Ende unseres Rundgangs treffen wir uns mit den Schweizern auf der Piazza zu einem Glas Wein. Den Tag schließen wir gemeinsam in einer benachbarten Trattoria mit einem mehrgängigen Abendessen und mit viel gutem Weißwein ab.

Fazit des Tages: man braucht keinen Luxus. Der innere Reichtum drückt sich in Lebensfreude aus.

10. Tag: Sutri - Lago di Bracciano - La Storta (46 km)

Das Frühstück, das wir an einem kleinen bereitgestellten Tisch vor der düsteren Pforte des Klosters einnehmen, nimmt sich mit etwas Zwieback und Marmelade sehr bescheiden aus. Da wir Pilger sind, nehmen wir es widerspruchslos hin und verlassen um 7.30 Uhr die Klosterpforte. Da unser Bargeld zur Neige geht, fahren wir nochmal auf die Piazza zur „Provinz-Bank". Dort will ich am klapprigen Geldautomaten vor der Bank 500 Euro abheben. Alles läuft glatt. Ich tippe auf die 500€-Taste, bekomme nach einigen Rumpeln im Inneren des Automaten meine EC-Karte zurück, nur das Geld kommt nicht. Unser beider Gedanke ist: jetzt wurde der Geldbetrag abgebucht, aber die Mechanik spuckt die Geldscheine nicht aus. Wir schauen uns um, kein Mensch weit und breit. Wir sehen nach, wann die Bank geöffnet wird, bis 9.00 Uhr müssten wir warten. Nach einiger Zeit des Wartens kommt der Ortspolizist und wir erklären ihm unser Problem. Er schaut sich um, spricht mit einem Marktverkäufer und mit der Besitzerin des angrenzenden Ledertaschengeschäfts und geht geschäftig aber hilflos wirkend über den großen Platz ins Rathaus. Endlich kommt gegen 8.30 Uhr eine Bankangestellte und erklärt uns, dass der Außenautomat auf 250 Euro limitiert ist. Wir warten nicht mehr bis die Bank öffnet, sondern ziehen nur 200 Euro, da es keine 250 Euro- und keine freie Wahltaste gibt.

Anschließend kaufen wir noch Lebensmittel für den kommenden Tag ein und hinunter geht's durch die Porta Vecchia mit eingemauerten etruskischen und römischen Elementen auf die viel befahrene moderne Via Cassia. Sie macht einen engen Bogen um Sutri, und die alte Stadt kann so ihren jahrhundertelangen Schlaf fortsetzen.

Wir fahren keine hundert Meter, da erscheint auf der rechten Seite ein vollständig aus den Tufffelsen geschlagenes Amphitheater. Die Arbeiten sollen im 1. Jh. v. Chr. von etruskischen Handwerkern ausgeführt worden sein.

Das in den gewachsenen Tuff gehauene Amphitheater von Sutri

Der Wegweiser im Zuge der Staatsstraße zeigt uns nach Rom die Entfernung von genau 50 km an. Doch wir wollen nicht auf dieser viel befahrenen Straße bleiben und biegen rechts nach Trevignano Romano am Lago di Bracciano ab. Zum wiederholten Male geht es erst sanft, dann immer steiler werdend bergauf zum Kraterrand, den Sabatiner Bergen. Diesmal sind es 8 km. Es ist eine Straße mit wenig Verkehr und streckenweise einmalig schöner Landschaft. Durch die Nähe zu Rom ist der Lago di Bracciano mit seinem Erholungs- und Freizeitwert mit dem Starnberger See zu vergleichen. Entsprechend ist die Altstadt von Trevignano herausgeputzt.

Die Uferstraße ist mit einer großkronigen Platanenallee eingesäumt, die uns bei unserer 13 km langen Fahrt entlang des Sees ausreichend Schatten spendet. Die Stämme der Bäume bilden mit ihren weißgetünchten Ringen und den aufgemalten roten Herzen eine Straßenrandmarkierung der einmaligen Art, wie sie nur den lebensfrohen Italienern einfallen kann.

In Anguillara angekommen, finden wir einen Spielplatz ohne Kinder auf dem wir uns um eine massive Holztischgarnitur breit machen. Nach ausgiebiger Mahlzeit und kurzer Siesta verlassen wir den Ort und den See und fahren das letzte Stück auf belebter Straße, vorbei an Einkaufsmärkten, Autohäusern und sonstigen Gewerbebauten nach La Storte. Der viele Verkehr und das Konglomerat an Bebauung kündigt uns, nicht sichtbar aber spürbar, die Großstadt Rom an. Wir fahren das letzte Stück an Bahngleisen entlang, dann kommt ein moderner Vorstadtbahnhof und wir lesen das Stationsschild „La Storte". Wir biegen danach links ab, unterqueren die Bahngleise und stoßen im Zentrum von La Storte wieder auf die Via Cassia, dort wo sich einst die letzte Poststation vor unserem Pilgerziel befand.

Wir wollen hier noch einmal übernachten und morgen früh die letzten 18 km bis zum Vatikan in Angriff nehmen. Ich fische aus meinen Unterlagen die Adressen für mögliche Übernachtungen heraus und wir entscheiden uns, in erster Linie wegen der günstigen Lage an der Via Cassia, für das „Centro di Spiritualità Nostra Signora del Sacro Cuore". Doch die Schwester im Empfang will uns nicht aufnehmen, weil wir nicht angemeldet sind. Wir jedoch stellen uns hilflos und machen sehr traurige Gesichter. Nach einigen hin und her wird die Schwester Oberin geholt, auch sie will uns trotz vorgezeigtem Pilgerausweis abweisen. Schließlich zeige ich ihr unser Empfehlungsschreiben von unserem Sauerlacher Pfarrer und siehe da, das Schreiben bewirkt Wunder, wir bekommen unser Quartier, ein schönes Zimmer mit Bad zum Preis von 25 Euro pro Person. Es ist erst 15 Uhr. Der Tag war heiß. Wir fühlen uns durch den Verkehr und Dreck auf dem letzten Stück Landstraße verschmutzt und verschwitzt und genießen das erste Bad auf unserer Tour in der Wanne. Bis zum Abendessen haben wir genügend Zeit unsere Sachen zu ordnen, Tagebuch zu schreiben und uns auszuruhen.

Zum Abendessen servieren uns die Schwestern als Vorspeise selbst gemachte Ravioli, anschließend gefüllte Kalbsröllchen gebraten mit Spinat und Bratkartoffeln und zum Abschluss Obst. Dazu gibt es Wasser und Rotwein. Zu unserer Überraschung gibt es nach dem guten Essen noch ein Glas guten, trockenen Sekt. Wie es sich schnell herausstellt, hat die Schwester Oberin 75. Geburtstag. Da kommt Ursel in Form und sie stimmt gleich ein Geburtstagsständchen zur Freude aller an. Dafür bekommt jeder von uns ein Stück der Geburtstagstorte ab sowie ein zweites Glas Sekt gereicht. An unserem Tisch sitzen noch ein italienisches Ehepaar und ein zwanzigjähriger Duisburger sowie ein Ehepaar aus Luzern. Alle, außer mir, haben schon mehrfache Jakobsweg-Pilgererfahrung. Und so gibt es viel zu erzählen. Das italienische Paar und der junge Deutsche haben sich bereits zuvor auf dem Jakobsweg kennengelernt.

Der Anschnitt der Geburtstagstorte durch die Äbtissin

Durch die Unterhaltung und den Wein kommen wir im Laufe des Abends gut in Stimmung. Doch da wir alle früh aufstehen wollen, um rechtzeitig zur Papstaudienz zu gelangen, beenden wir noch zu christlicher Stunde die Feier.

Fazit des Tages: Gebe nie zu früh auf im Leben, wenn du erfolgreich sein willst.

11. und letzter Tag: La Storta - Vatikan / Rom

Wir verlassen kurz vor 6 Uhr das Kloster in der Hoffnung, noch vor dem großen Berufsverkehr in Rom anzukommen. Unsere bisherigen Erfahrungen haben uns gelehrt, dass die Italiener im Regelfall keine Frühaufsteher sind. Doch da haben wir uns gründlich verrechnet. Der Verkehr kann nicht mehr viel schlimmer sein. An den Bushaltestellen stehen verschlafene, trist dreinschauende Gestalten. Nach ein paar Kilometern überholen wir den jungen Duisburger mit dem italienischen Paar. Sie sind eine halbe Stunde eher losgezogen. Trotz des starken Verkehrs haben wir mit dem Weg keine Schwierigkeiten. In La Giustiniana verlassen wir die Via Cassia und biegen rechts ab in die Via Trionfale. Ebenso wie die Jakobspilger in der Nähe von Compostela auf dem Hügel von Monte Gozo die Kathedrale von Santiago bewundern konnten, hatten auch die Rompilger vom Monte Mario aus den ersten Blick auf den Petersdom. Daher wurde der Berg von den Pilgern auch „Mons Gaudii" genannt, der Berg der Freude als Preis der langen Mühen und Entbehrungen. Leider ist die Stelle heute sehr vernachlässigt und der Blick ist durch hochgewachsene Bäume sehr beschränkt.

Auf dem letzten Stück der Via Trionfale drängen sich mittelalterliche Kirchen, die wir aber aus Zeitmangel nicht mehr besuchen. Am Ende der Straße kommen wir zum Platz Largo Trionfale und von dort sind wir in wenigen Minuten an der hohen Leonischen Mauer, die den heutigen Vatikanstaat umschließt. Wir fahren die Mauer entlang, vorbei am Eingang zu den Vatikanischen Museen - dort steht bereits kurz nach 7 Uhr eine lange Besucherschlange an - und gelangen durch die Kolonnaden von Bernini zum noch menschenleeren Petersplatz. Gleich am Beginn der Via della Conziliazione, die vom Petersplatz zur Engelsburg am Tiber von Mussolini angelegt wurde, finden wir an deren Südseite das Deutsche Pilgerbüro. Im gleichen Haus residieren die Deutsche Bischofs-konferenz und die Salesianer mit einem Gästehaus. Wir müssen noch eine Stunde warten, bis das Pilgerbüro öffnet. Die Zeit können wir aber im schönen, mit Pflanzen und Blumen gestalteten, kühlen Innenhof auf bequemen Polstersitzen mit Lesen vertreiben. Kurz nach 9 Uhr erlaubt uns eine sehr nette, hilfreiche junge Frau aus dem Pilgerbüro das Abstellen unserer Räder im Sitzungssaal und händigt uns die roten Eintrittskarten für die heutige Papstaudienz aus. Wir kommen zurück auf den Petersplatz und sehen unendliche Menschenmassen auf den Platz strömen. Etwa zu einem Viertel hat sich der riesige Platz bereits gefüllt. Da wir keine Taschen dabei haben, kommen wir relativ schnell durch die Sicherheitsschleusen.

Menschenmassen strömen zur Papstaudienz auf den Petersplatz

Der ganze Platz ist mit hölzernen Zäunen in große Rechtecke eingeteilt, die nach und nach mit den Besuchern aus aller Welt mit Hilfe von Platzanweisern gefüllt werden. Es läuft alles recht reibungslos und trotzdem herrscht unter den Besuchern unverständliche Hektik. Wir finden im vorderen Drittel in der Nähe der mittleren Hauptauffahrt zwei freie Plätze auf Plastikstühlen zwischen einer amerikanischen Familie und einer Gruppe aus Parma, die alles genau über unsere zurückgelegte Pilgerreise wissen wollen. Dann heißt es über eine Stunde warten in sengender Sonne. Zwischendurch geht eine Hiobsbotschaft um, der Papst käme gar nicht, er sei noch nicht von seiner Brasilienreise zurück. Zu allem Überfluss sitzt hinter mir ein Asiate, der ununterbrochen in mein Genick niest mit der Folge, dass ich angesteckt werde und drei Stunden später einen ordentlichen Schnupfen verspüre.

Endlich kommt Bewegung in die wartende Menge. Nach wenigen Minuten fährt unser Papst Benedikt segnend in seinem Papamobil an uns vorbei, begleitet von seinem Sekretär Prälat Georg Gänswein.

Die Emotionen sind groß. Die Menschen jubeln, schreien und applaudieren. Viele können nicht nah genug sein und drängen sich an uns vorbei. Einige springen auf die Stühle. Den dahinter Sitzenden bleibt nichts anderes übrig, als es ihnen nachzumachen.

Papst Benedikt bei seiner Audienz auf dem Petersplatz am 23.05.2007

Unsere italienischen Nachbarn halten dem Papst Fotos ihrer Kinder entgegen und halten über Handy Kontakt mit ihnen, damit sie auf diese Weise diesen für sie historischen Moment miterleben können.

Nachdem Papst Benedikt auf der Tribüne vor der Domfassade angekommen ist, begrüßt er die Pilger in sieben Sprachen. Anschließend begrüßen Kleriker in Vertretung der einzelnen Sprachgemeinschaften den Papst und nennen die größeren anwesenden Gruppen aus ihrem Land, was mit lautem Gejohle beantwortet wird. Wir finden es schade, dass von den echten Pilgern keine Notiz genommen wird. Die Audienz wird sehr langatmig dadurch, dass der Papst noch über die Eindrücke seiner Brasilienreise berichtet und das Ganze natürlich nochmal in sieben Sprachen. Unser italienischer Nachbar, der anfänglich so emotional reagierte, hat inzwischen seine Sportzeitung hervorgeholt. Als dann noch die Ehrengäste begrüßt werden und seinen Segen empfangen, kehren wir zum Pilgerbüro zurück. Die freundliche Angestellte erklärt uns, wie wir es anstellen müssen, um im Vatikan die Pilgerurkunde Testimonium Peregrinationis Peractae Ad Limina Petri zu bekommen und drückt uns den letzten Stempel in unsere Pilgerausweise hinein. Im weiteren Gespräch erfahren wir, dass unser Pfarrer, Monsignore Wolfgang Bòuche aus Altkirchen dort gut bekannt ist. Anschließend suchen wir ergebnislos in umliegenden Souvenirgeschäften nach einer Keramikkachel mit dem Symbol der Via Francigena.

Um die Pilgerurkunde zu bekommen, müssen wir in die Sakristei des Petersdomes im linken Querschiff nach Don Bruno Vercesi fragen. Also gehen wir wieder zum Petersdom und müssen uns in einer endlos erscheinenden Schlange, die bis zum Ende der rechten Kolonnade reicht, anstellen. Wir passieren abermals die Sicherheitsschleuse, gehen durch das Hauptschiff des Domes, das von Touristen bevölkert ist, die sich teilweise sehr respektlos benehmen, zur Sakristei. Von dort werden wir um die Kirche zu einem Gebäude neben den Deutschen Friedhof geschickt, wo man uns erklärt, dass heute Don B. Vercesi nicht zu sprechen ist. Wir kommen unmittelbar am Eingang des Petrusgrabes vorbei, werden jedoch nicht hineingelassen, sondern sollen nochmal über die Sicherheitsschleuse vom Dom hierher zurückkommen, was nochmaliges stundenlanges Anstehen bedeuten würde. Das ist uns zu viel und wir verlassen verärgert den Vatikanstaat, nachdem wir auch beim Vorbeigehen im vatikanischen Ufficio per la assistenza dei pellegrini (Büro zur Unterstützung der Pilger) keinerlei Hilfe für unsere Anliegen finden. Unser Ärger weicht einem unendlichen Gefühl von Traurigkeit, weil sich hier offenbar niemand um die wahren Pilger kümmert. Ich muss unwillkürlich an den Rompilger Martin Luther denken, der seinerzeit vom unchristlichen Treiben der Menschen im Zentrum der Christenheit enttäuscht war.

Mit einem unzufriedenen Gefühl im Bauch verlassen wir den Petersplatz und fahren quer durch ganz Rom zu unserer bestellten Herberge beim Deutschen Orden. Schwester Wilhelmine nimmt uns sehr freundlich auf und wir bleiben dort noch fünf Tage bis wir nach München zurück fliegen.

Mit öffentlichen Verkehrsmitteln durchstreifen wir in den fünf Tagen die Stadt, besuchen u.a. die Grabstätte des hl. Apostel Paulus in der Patriarchalbasilika San Paolo fuori le Mura (St. Paul vor den Mauern) und können uns doch noch beim dritten Anlauf bei Don Bruno Vercesi ins Pilgerbuch eintragen und erhalten die Pilgerurkunden.

Ursel mit der Pilgerurkunde in den Händen vor der Pietà von Michelangelo im Petersdom

So sind wir versöhnt, denken aber zurückblickend an die Schönheiten der Natur, die Begegnungen mit den Menschen und das Radeln durch die bezaubernden Landschaften von Toskana und Latium. Jeder Kilometer und jede Mühe haben sich gelohnt, auch wenn am Ziel sich am Ende eine gewisse Ernüchterung breitgemacht hat.

So lautet das letzte Fazit unserer Pilgerreise:

„Der Weg war unser Ziel"

Sauerlach im Sommer 2007

Gerald Bretfeld